Seit dem 31.12.2020 ist das Vereinigte Königreich aus der Europäischen Union ausgetreten. Wir hatten an dieser Stelle hier und hier ausführlich über das Austrittsabkommen (Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft) berichtet. Nach mehr als drei Jahren ist es nun an der Zeit, sich die Auswirkungen des Brexit für die europäische Rechtspraxis näher anzusehen. Unsere praxisorientierte Serie widmet sich juristischen Problemfragen und Themen rund um die Konsequenzen des Austritts Großbritanniens aus der EU. In Teil 2 beleuchten wir das internationale Zivilverfahrensrecht, insbesondere die speziellen Probleme, die sich bei der Zwangsvollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, insbesondere Gerichtsurteilen, ergeben.
Zwangsvollstreckung innerhalb der EU bis zum Brexit
Zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union richtet sich die Zwangsvollstreckung von nationalstaatlichen Gerichtsentscheidungen, also Urteilen oder Beschlüssen, bzw. sonstigen vollstreckbaren Titel grundsätzlich nach der Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO, in der Fassung der Brüssel-Ia-Verordnung).
Dies gilt selbstverständlich auch in Bezug auf der Vereinigte Königreich.
Mit Blick auf die s.g. Übergangsphase des Brexit (bis zum 31.12.2020) gilt in Bezug auf die Zwangsvollstreckung Britischer Urteile in Deutschland (und Deutscher Urteile in UK) Folgendes:
Das Austrittsabkommen zwischen Großbritannien und der EU sieht in Art. 66 Regelungen zur justiziellen Zusammenarbeit und zur Zusammenarbeit in Zivilsachen vor.
Hiernach gelten die allgemeinen Vorschriften der EuGVVO im Hinblick auf die Zwangsvollstreckung für solche Gerichtsentscheidungen weiter, die vor dem 31.12.2020 – also vor Ablauf der Übergangsphase – anhängig gemacht worden sind. Dass die jeweilige Entscheidung also bereits erlassen war, ist nicht erforderlich. Entscheidend ist, dass die Klage, der Mahnantrag usw. zu diesem Zeitpunkt bereits bei Gericht eingegangen war.
Zwangsvollstreckung nach Übergangsphase des Brexit
Problematisch wird die gegenseitige Anerkennung und Zwangsvollstreckung von Entscheidungen, bzw. Titeln nach Ende der Übergangsphase seit dem 01.01.2021. Hier herrscht bis zum heutigen Tage ganz erhebliche Rechtsunsicherheit, da nach wie vor nicht abschließend geklärt ist, welche Regelungen des internationalen Zivilprozessrechts, bzw. ob und ggf. welche internationalen Verträge im Verhältnis zum Vereinigten Königrecht zur Anwendung kommen.
Das neu geschlossene Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und dem UK enthält nämlich keinerlei Regelung zur justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen.
Auch das Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30.10.2007 hilft nicht weiter. Zwar hatte Großbritannien seinen Beitritt zu diesem Abkommen erklärt. Allerdings haben nicht alle weiteren Mitgliedsstaaten ihre erforderliche Zustimmung innerhalb der vorgesehenen Frist erteilt, sodass dieses Abkommen in Bezug auf Großbritannien nicht anwendbar sein dürfte.
Zwangsvollstreckung nach dem Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen (HGÜ)
Da das Vereinigte Königreich (jedenfalls) nach Ablauf der Übergangsperiode dem Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen beigetreten ist und auch die meisten EU-Staaten Mitglied dieses Abkommens sind, kommt eine Zwangsvollstreckung von Titeln nach den Vorschriften dieses Völkerrechtsvertrages in Betracht.
Der Vorteil in der Anwendung der Regelung des HGÜ besteht darin, dass eine gegenseitige Anerkennung und Vollstreckbarkeit von Entscheidungen und weiteren Titeln grundsätzlich ohne neuerliche sachliche, also materielle Prüfung stattfindet, solange die formellen Anforderungen des Abkommens erfüllt sind und keine Ausschlussgründe vorliegen. Insoweit fällt das HGÜ in den Anwendungsbereich des Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetzes (AVAG). Vollstreckungsklauseln werden auf Antrag erteilt.
Jedoch ist der praktische Anwendungsbereich erheblich eingeschränkt. Zum einen bezieht sich das HGÜ lediglich auf “ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen”. Hinzu kommt, dass die Prorogationsvereinbarung nach dem Beitritt des jeweiligen Staates zum Abkommen geschlossen worden sein muss. Des Weiteren ist das HGÜ bereits aus sich heraus auf eine ganze Reihe von erheblich praxisrelevanten Sachverhalten nicht anwendbar. Hierher gehören beispielsweise Mietverträge, Streitigkeiten aus Verträgen zwischen Unternehmern und Verbrauchern oder auch Ansprüche aus bestimmten unerlaubten Handlungen.
Zwangsvollstreckung nach dem Deutsch-Britischen Abkommen vom 1960
Eine weitere Möglichkeit der gegenseitigen Zwangsvollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen könnte sich aus dem Deutsch-Britischen Abkommen ergeben.
Hierbei handelt es sich um einen bilateralen Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich zur Regelung des Rechtsverkehrs, der 1960 erneuert worden ist.
Unabhängig davon, dass die Bestimmungen dieses Vertrages aus der Zeit gefallen sind, besteht erhebliche Rechtsunsicherheit über dessen Anwendbarkeit. Insbesondere ist hochumstritten, ob das Abkommen mit dem Brexit wieder “auflebt” oder nicht. Diesbezüglich werden unterschiedliche Rechtsauffassungen vertreten; eine höchstrichterliche Klärung hat bisher nicht stattgefunden.
Das Wiederaufleben – und damit die Anwendbarkeit des Abkommens – dürfte nach der hier vertreten Auffassung daran scheitern, dass die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union die Kompetenz zum Abschluss von bestimmten völkerrechtlichen Verträgen, insbesondere Handelsabkommen, an die Europäische Union übertragen haben. Dies dürfte einer bilateralen Anwendung, bzw. einem Wiederaufleben entgegenstehen.
Unabhängig von diesen grundsätzlichen rechtsdogmatischen Fragen setzt die Anerkennung und Vollstreckung nach dem Deutsch-Britischen Abkommen eine Anhörung des Gegners voraus.
Das Deutsch-Britische Abkommen eignet sich daher für eine praxisgerechte Anwendung nicht.
Hilfsweise: Vollstreckungsklage nach nationalem Recht
Hilft keines der vorgestellten internationalen Vertragswerke weiter, verbleibt schließlich noch der Weg, die Vollstreckung eines britischen Urteils, bzw. einer titulierten Entscheidung aus dem Vereinigten Königreich über das nationale Recht zu bewirken.
Hierzu ist Vollstreckungsklage gem. § 722 ZPO bei dem Landgericht zu erheben, bei dem der Schuldner seinen Sitz hat, bzw. bei dem er sonst verklagt werden kann.
Eine Prüfung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung, die für vollstreckbar erklärt werden soll, findet nicht statt, vgl. § 823 ZPO.
Liegen keine Vollstreckungshindernisse vor, erlässt das Landgericht ein Vollstreckungsurteil, aus dem anschließend die Zwangsvollstreckung nach den allgemeinen zivilprozessualen Vorschriften betrieben werden kann.
Empfehlung für die Praxis
Es bietet sich also ob der geschilderten Unsicherheiten jedenfalls für die Zukunft an, schon im Vorfeld von Vertrags- oder Geschäftsabschlüssen im deutsch-britischen, bzw. EU-britischen Kontext hinreichend vertragsgestaltend tätig zu werden und die geschilderten Probleme zu antizipieren. Lösungsmodelle könnten – zumindest im B2B-Bereich – in ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen oder auch Schiedsgerichtsklauseln liegen. Hier bietet sich entsprechendes Counseling durch einen Rechtsberater mit Erfahrung im deutsch-britischen Kontext an.
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