Von Karsten Groeger.
Im Rahmen der Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der mit der Corona-Pandemie (Pandemie des neuartigen SARS-CoV-2-Virus) einhergehenden Schließungsverfügungen für weite Teile der Wirtschaft haben Bund und Länder staatliche Hilfsprogramme in bisher ungekannten Größenordnungen aufgelegt. Dies sind neben der s.g. Überbrückungshilfe vor allen Dingen die Novemberhilfe und Dezemberhilfe. Der Einzelhandel hat darauf jedoch bislang keinen Anspruch. Unser Artikel beschäftigt sich mit der Frage, ob Einzelhändler die Novemberhilfe und Dezemberhilfe – notfalls gerichtlich – beanspruchen können, obwohl sie nicht schon vom “Wellenbrecher-Lockdown” ab dem 02.11.2020 betroffen waren, sondern vielmehr “erst” am 16.12.2020 schließen mussten.
Einzelhändler betroffen: Lockdown-Maßnahmen Ende 2020
Nach dem ersten “harten Lockdown” im Frühjahr 2020 und den anschließenden Lockerungen im Sommer kamen Bund und Länder im Rahmen der erweiterten Ministerpräsidentenkonferenz (Bundeskanzlerin und Ministerpräsidenten) vom 28.10.2020 überein, wegen exponentiell steigender Fallzahlen und der damit verbundenen erschwerten Kontaktverfolgung seitens der kommunalen Gesundheitsämter, neuerliche Einschränkungen des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft zu beschließen. So mussten im Rahmen des “Wellenbrecher-Lockdowns” ab dem 02.11.2020 u.a. Freizeit-, Unterhaltungs- und Sporteinrichtungen, Gastronomiebetriebe und das Beherbergungsgewerbe schließen. Einzelhändler (und Großhändler) waren von diesen Maßnahmen (noch) nicht betroffen.
Am 25.11.2020 wurden die Beschränkungen dann weiter verschärft, da die bisherigen Maßnahmen aus Sicht der Politik die gewünschten Effekte bei den Fallzahlen nicht zu bewirken vermochten. So wurden die bereits geltenden Maßnahmen verlängert und die zulässige Anzahl von Kunden pro Verkaufsfläche im Einzelhandel verringert.
Ab dem 16.12.2020 trat Deutschland dann wieder in einen weiteren harten Lockdown ein – Einzelhändler (mit Ausnahme des Lebensmittelhandels) sowie Friseurbetriebe mussten wieder schließen. Diese Regelungen gelten im Prinzip bis heute – abgesehen von den Lockerungen Anfang März 2021, die Friseure, Buchhändler, Baumärkte und Blumengeschäfte betreffen. Weitere Lockerungen sind in Abhängigkeit vom s.g. Inzidenzwert vorgesehen.
Förderprogramme, Überbrückungshilfe, Novemberhilfe und Dezemberhilfe
Zeitlich korrespondierend mit dem “Wellenbrecher-Lockdown”, bzw. “Lockdown Light” im November 2020 hat der Bund für die unmittelbar betroffenen Betriebe die Novemberhilfe als außerordentliche Wirtschaftshilfe eingeführt. Das Gesamtvolumen sollte zunächst 10 Milliarden Euro umfassen, förderfähig sind maximal 75 Prozent des entsprechenden Vorjahresumsatzes (Umsatz 2019 als Referenzgröße; Vormonatsumsatz bei Neuunternehmen).
Für die lediglich mittelbar von den Beschränkungen betroffenen Unternehmen sollte die Überbrückungshilfe III greifen.
Im Zuge der Verlängerung der Lockmaßnahmen in den Dezember 2020 hinein wurden die außerordentlichen Wirtschaftshilfen der Novemberhilfe ausgeweitet und verlängert (Novemberhilfe und Dezemberhilfe), die Überbrückungshilfe III wird zunächst bis ungefähr zur Jahresmitte 2021 gewährleistet.
Die Übersicht über die Soforthilfen des Bundes sowie die Corona-Förderprogramme sind auf der Webseite www.ueberbrueckungshilfe-unternehmen.de zusammengefasst. Wesentliche Förderbedingungen und -voraussetzungen werden in Form von “Frequently Asked Questions” (FAQ, Häufig gestellte Fragen) bereitgestellt, die der Bund und die Länder anhand von Verwaltungsvereinbarungen erarbeitet haben.
Einzelhändler benachteiligt: Überbrückungshilfe statt November- und Dezemberhilfe
Einzelhändler sind von den Maßnahmen der Corona-Krise besonders schwer betroffen. So betrug bereits der Umsatzverlust im Rahmen des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 ca. 30 Milliarden Euro. Doch der Schaden, den die Ladenschließungen im Weihnachtsgeschäft für den Einzelhandel verursacht haben, dürfte ungleich größer sein – entfällt doch nicht selten ein Anteil von über 30 Prozent des gesamten Jahresumsatzes auf die Wochen um Weihnachten. Der Einzelhandelsverband Deutschland rechnet in diesem Zusammenhang bereits jetzt mit bis zu 50.000 Insolvenzen.
Trotz dieser alarmierenden Zahlen werden Einzelhändler aber im Rahmen der Corona-Hilfszahlungen benachteiligt:
Denn während diejenigen Betriebe, die seit dem “Wellenbrecher-Lockdown” Anfang November 2020 von Schließungen unmittelbar betroffen waren (also Gastronomie, Beherbergung, Eventbranche, Körperpflege) von der Novemberhilfe und Dezemberhilfe Gebrauch machen können und für zwei Monate bis zu 75 Prozent des Vorjahresumsatzes ersetzt bekommen, bleibt der (stationäre) Einzelhandel auf die allgemeine Überbrückungshilfe II, bzw. Überbrückungshilfe III – und damit lediglich auf einen Fixkostenzuschuss – verwiesen. Zugang zur – wesentlich umfangreicheren, höheren und lukrativieren – November- und Dezemberhilfe ist für den Einzelhandel nicht vorgesehen.
Fraglich ist, ob diese unterschiedliche Ausgestaltung der Zugangsvoraussetzungen zu den Corona-Hilfen grundsätzlichen rechtlichen Anforderungen standhält.
Benachteiligung der Einzelhändler ist rechtserhebliche Ungleichbehandlung
In der soeben geschilderten Benachteiligung des (stationären) Einzelhandels im Hinblick auf den Zugang zu den Novemberhilfen und Dezemberhilfen liegt im Vergleich zu anderen, insoweit antragsberechtigten Unternehmen eine Ungleichbehandlung.
Diese ist in verfassungs- und verwaltungsrechtlicher Hinsicht am Allgemeinen Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG, ggf. in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG zu messen.
Danach verpflichtet die Verfassung den Staat, bei der Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten (und so auch bei der Gewährung öffentlicher Beihilfen) wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Unter umgekehrten Vorzeichen verbietet es das Gleichheitsgrundrecht also, wesentlich gleiche Sachverhalte, Personen oder Gruppen ohne sachlichen Grund ungleich, bzw. wesentlich ungleiche Sachverhalte, Personen oder Gruppen ohne sachlichen Grund gleich zu behandeln.
Die Schwelle zur Rechtswidrigkeit ist also immer dann überschritten, wenn eine Ungleichbehandlung nicht mehr nachvollziehbar und mithin willkürlich erscheint, also verfassungsrechtlich nicht mehr gerechtfertigt werden kann.
Novemberhilfe und Dezemberhilfe: Ungleichbehandlung des Einzelhandels ist willkürlich und rechtswidrig
Der eingangs dargestellte Ausschluss der Einzelhändler von den – lukrativeren – November- und Dezemberhilfen dürfte diesen Anforderungen nicht standhalten, daher verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen und mithin rechtswidrig sein.
So dürfte die Ungleichbehandlung des Einzelhandels zunächst nicht dadurch zu rechtfertigten sein, dass dieser “erst” zum 16.12.2020 – also mit Beginn des neuerlichen “harten” Lockdowns – schließen musste, also im Gegensatz zu den Antragsberechtigten der Novemberhilfe und Dezemberhilfe “erst” sechs Wochen später. Denn jedenfalls im Zeitraum vom 16. bis zum 31.12.2020 waren beide Vergleichsgruppen von den gleichen Beschränkungen betroffen, sodass eine Rechtfertigung durch das zeitliche Argument nicht in Betracht kommen dürfte.
Und auch anschließend, also vom 01.01.2021 bis Anfang März 2021, ergibt die globale Betrachtung, dass beide Vergleichsgruppen jedenfalls für (mindestens) zwei Monate – also für die maximale Dauer der Gewährung der November- und Dezemberhilfen – von den gleichen Beschränkungen betroffen waren.
Auch eine Rechtfertigung dahingehend, dass berechtigte Unternehmen insgesamt länger von den Schließungsverfügungen betroffen waren als Einzelhändler, dürfte nicht in Betracht kommen. Eine längere Betroffenheit vermag kein “besseres” Hilfsprogramm mit höheren Zahlungen zu rechtfertigen, sondern lediglich einen entsprechend längeren Bezugszeitraum für die aber ansonsten gleich gestalteten Hilfen.
Zwar gelten im Zusammenhang mit Regelungen im Beihilfen- und Subventionsrecht anerkanntermaßen grundsätzlich weitergehende und umfassendere Einschätzungsprärogativen und Gestaltungsspielräume der Verwaltung als dies bspw. bei anderem hoheitlichem Handeln der Fall ist.
Jedoch vermag auch die damit einhergehende Typisierungs- und Vereinfachungsbefugnis des Zuwendungsgebers die hier im Raum stehende Ungleichbehandlung des Einzelhandels nicht zu rechtfertigen, da mit den Schließungsverfügungen ganz erhebliche Grundrechtseinschränkungen verbunden sind, die ihrerseits wiederum u.a. nur durch korrespondierende staatliche Hilfszahlungen zu rechtfertigen sein dürften. Zu nennen sind hier die Berufsfreiheit und die Eigentumsgarantie.
Nach alledem lässt sich also die unterschiedliche – schlechtere – Behandlung des Einzelhandels beim Zugang zu den Novemberhilfen und Dezemberhilfen im Vergleich zu anderen Unternehmen verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen. Sie dürfte daher willkürlich und mithin rechtswidrig sein.
Rechtsfolge: Unmittelbarer Anspruch der Einzelhändler auf Novemberhilfe und Dezemberhilfe
Aus der Rechtswidrigkeit des Ausschlusses der Einzelhändler folgt unmittelbar ein Anspruch auf Gewährung der November- und Dezemberhilfen – jedenfalls solange der Regelungsgeber die rechtlichen Unzulänglichkeiten nicht selbständig korrigiert.
Der Anspruch folgt unmittelbar aus Art. 3 Abs. 1 GG, ggf. in Verbindung mit der Rechtsstaatsgarantie gem. Art. 20 Abs. 3 GG, da die Einbeziehung des Einzelhandels in die außerordentlichen Wirtschaftshilfen verfassungsrechtlich geboten ist – denn nur so lässt sich der Grundrechtsverstoß wirksam beseitigen.
In zeitlicher Hinsicht dürfte dies jedenfalls für den Zeitraum vom 16.12.2020 bis 31.12.2020 gelten, vor dem Hintergrund des oben Gesagten allerdings mit guten Argumenten sogar bis zum 15.02.2021 – also für den Gesamtzeitraum von zwei Monaten, der auch den Unternehmen der besser gestellten Vergleichsgruppe gewährt worden ist.
Anspruchsdurchsetzung für Einzelhändler
Betroffene Einzelhändler, die den Versuch unternehmen wollen, in den Genuss der Novemberhilfen und Dezemberhilfen zu gelangen, werden um die Inanspruchnahme der Gerichte nicht umhinkommen.
Dazu ist es zunächst einmal erforderlich, die entsprechenden Hilfen zu beantragen und einen ablehnenden Bescheid abzuwarten.
Gegen diesen Bescheid kann dann – je nach landesrechtlicher Regelung – Widerspruch oder direkt Verpflichtungsklage zum zuständigen Verwaltungsgericht erhoben werden. Verbunden werden kann eine solche Klage mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, um die Auszahlung der Hilfsgelder zu beschleunigen, da die Abwehr wesentlicher Nachteile für die betroffenen Einzelhändler zu besorgen sein dürfte.
Lassen Sie sich beraten!
Auch wenn der hiesige Standpunkt mit guten Argumenten vertreten werden kann und auch der Einzelhandelsverband zu dieser Einschätzung gelangt, kann sich trotzdem jeder individuelle Fall unterschiedlich darstellen.
Lassen Sie sich deshalb beraten und fragen Sie Ihren Rechtsanwalt.
Bei Fragen zum Artikel oder Anmerkungen, schreiben Sie mir gerne.