Über Literatur, Ferdinand von Schirach und die Verbotsgesellschaft
von Karsten Groeger
Die amerikanische Bestsellerautorin und Philosophin Ayn Rand ließ in ihrem bedeutendsten Werk „Atlas Shrugged“ (dt. „Der Streik“, zuletzt erschienen im Kai M. John Verlag, München) einen Kiosk-Besitzer zu einer der Hauptprotagonisten des Romans – Dagny Taggart – folgende Sätze sagen:
„Ich mag Zigaretten, Miss Taggart. Ich mag es, mir Feuer in einer menschlichen Hand vorzustellen. Feuer, eine gefährliche Macht, von menschlichen Fingerspitzen gezähmt. Ich stelle mir oft die einsamen Stunden vor, in denen ein Mensch allein für sich ist, den Rauch einer Zigarette betrachtet und nachdenkt. Ich frage mich, welch großartige Gedanken solchen Stunden entsprungen sein mögen. Wenn ein Mensch nachdenkt, dann brennt ein Feuer auch in seinem Verstand. Und es ist nur angemessen, wenn er dieser Tatsache mit einer brennenden Zigarette Ausdruck verleiht.“
Dieses Zitat habe ich zum ersten Mal gelesen, als ich achtzehn war – und es war der Grund, warum ich mich bewusst dazu entschlossen habe, zu rauchen. Mittlerweile bin ich älter und – selbstverständlich – noch immer Raucher. Aus Überzeugung.
Vermutlich verdanke ich es meiner Mutter, dass ich – neben den Zigaretten – die Literatur liebe. Als Bibliothekarin hat sie mir die Liebe zu den Büchern gleichsam in die Wiege gelegt. Deshalb bin ich nicht nur überzeugter Raucher, sondern auch überzeugter Leser – oder besser: Connoisseur guter Bücher. Wegen meiner Prägung allerdings meistens amerikanischer oder zumindest britischer.
Bis jetzt.
Als ich also neulich wieder einmal die Buchhandlung meines Vertrauens besuchte und vor hatte, mich routinemäßig von den Bestseller-Regalen im Erdgeschoss bis zu den Klassikern und „Nischen-Füllern“ im Obergeschoss durchzuarbeiten, hielt ich plötzlich – und tatsächlich einigermaßen unerwartet – bereits vor dem ersten Regal im Erdgeschoss inne. Da stand – neben Ernährungsratgebern und anderem Unfug – ein Buch mit puristischem, herrlich übersichtlichem und überhaupt nicht reißerischem oder effekthaschendem Einband aus dem Hause Luchterhand. Auf ihm prangten keine großen Letter und nichts an dem Buch vermittelte das Gefühl, dass es um jeden Preis an den Mann gebracht werden müsse, weil ohne seine Lektüre Heuschrecken-Plagen über uns hereinbrechen und die Welt untergehen werden – oder gar Schlimmeres. Wie es da jedenfalls im Regal stand, wirkte es ein bisschen aus der Zeit gefallen – und das mochte ich sofort. Der Einband bildete nichts ab außer eine wunderbar stilisierte Rauchwolke in bestechender Einfachheit. Der Titel: Kaffee und Zigaretten. Der Autor: Ferdinand von Schirach.
So blieb ich stehen vor dem Buch mit der simplen und auf faszinierende Weise ästhetischen Rauchwolke und fragte mich zwei Dinge.
Erstens: Wer benennt ein Buch exakt nach dem, was ich seit Jahren gewissermaßen als „mein Lebenselixier“ bezeichne und von dem ich mit unerschütterlicher Überzeugung geglaubt hatte, dass ich der einzig verbliebene Mensch dieses Planeten bin, der diese beiden Substanzen zusammen überhaupt noch zu sich nimmt.
Und zweitens: Wer ist Ferdinand von Schirach?
Als ich schließlich die Buchhandlung verlassen hatte, blieb ich stehen, zündete mir eine Zigarette an und griff nach meinem iPhone.
Ich ging der zweiten Frage als erstes nach. Der Wikipedia-Artikel über Ferdinand von Schirach ist selbst für deutsche Wikipedia-Verhältnisse recht übersichtlich. Aber er half meiner Erinnerung auf die Sprünge und plötzlich wusste ich wieder, warum mir der Name bekannt vorkam. Baldur von Schirach – Ferdinands Großvater und einstiger “Reichsjugendführer” – wurde vom Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu zwanzig Jahren Haft verurteilt.
Dieser Umstand war für mich schlicht hinzunehmen. Niemand sucht sich seine Familie aus. Niemand entscheidet, woher er kommt. Nur, wohin er geht. Und deshalb ist der Rest der Informationen, die ich dem Internet entnahm, umso spannender gewesen:
Ferdinand von Schirach sei Rechtsanwalt – Strafverteidiger. Er verteidigte Günter Schabowski in den DDR-Mauerschützenprozessen. Und andere. Er habe viele prominente Mandanten und nicht weniger prominente Fälle gehabt. Heute schreibe er. Sei Bestsellerautor. Seine Bücher – Kriminalromane, aber auch Erzählungs-Sammlungen und Theaterstücke – seien in vierzig Sprachen übersetzt worden. Und verfilmt worden. Die internationale Presse lobe ihn als großen Vertreter der europäischen Literatur. Einige ließen sich wohl sogar dazu hinreißen, ihn als den „neuen Kafka“ zu bezeichnen. Er schreibe über große Fragen der Gerechtigkeit, über Schuld, Strafe und Sühne. Aber er schreibe auch über die Realität und das Leben. Und über das Recht. Und über den Rechtsstaat. Kurz, über all das, was eine zivilisierte Gesellschaft ausmache. Er schreibe beispielsweise über ganz normale Menschen, die zu Verbrechern werden. Das interessiere ihn sehr. Über Serienmörder und Psychopathen hingegen schreibe er nicht, denn die interessierten ihn nicht. Die seien krank. Er thematisiere auch die Schuld der Deutschen und ihre historische Entwicklung nach dem Krieg. Den deutschen Herbst. Otto Schily, Horst Mahler und Hans-Christian Ströbele. Ferdinand von Schirach habe im Alter von fünfzehn Jahren erfolglos versucht, Selbstmord zu begehen. Gott sei Dank erfolglos, mag man anfügen. Aber eine solche Bemerkung ist vermutlich unangemessen. Jedenfalls aber schreibe er auch – nicht oft zwar, aber es sei nötig und helfe bisweilen nichts – über sich selbst. Und über Depressionen. Und über die Todesstrafe. Und über Filme und das Kino. Und über den Tod. Und überhaupt.
Nun.
All dies klang beeindruckend und nötigte mir Respekt ab. Aber letztlich spielte auch das nur eine untergeordnete Rolle. Denn selbst wenn dieser Mann nur ein Dutzend Bücher verkauft hätte – ich wollte wissen, wer er ist: der Mann, der die Chuzpe besitzt, Kaffee und Zigaretten zum Titel eines Buches zu erheben.
Am folgenden Tag nahm ich deshalb – einmal mehr und vermutlich ganz zum Leidwesen Herrn von Schirachs – das Internet zu Hilfe, dieses Mal YouTube. Ich gab in die Suchzeile „Ferdinand von Schirach“ ein. Die Ergebnisse waren zwar – trotz des von der vortägigen Internetrecherche verheißenen Ruhmes – einigermaßen übersichtlich, aber immerhin nicht ganz unergiebig. Offenkundig ist Herr von Schirach ein Mensch, der im Allgemeinen weder die Öffentlichkeit noch die ausschweifende und übertrieben häufige Anwesenheit anderer Menschen aufsucht. Eine Eigenschaft, die – wenn sie denn zutrifft – äußerst sympathisch ist.
Man muss wissen: Ferdinand von Schirach ist Raucher.
Nun hatte ich immer gedacht, dass mit Helmut Schmidt Deutschlands letzter Raucher von uns gegangen ist und dass es seither nur noch konformistische, dem Gesundheitsdiktat gehorchende Menschen gibt, die jeder Lebensfreude, jeder Schönheit und Ästhetik, jedem Genuss und überhaupt allem, was das Leben lebenswert macht, abgeschworen haben. Und zwar mit dem Ziel, länger zu leben. Nun ja.
Leben ist immer lebensgefährlich und der Tod ist eine unausweichliche Nebenwirkung des Lebens. Zu dieser Einsicht gelangt jeder früher oder später – ob man nun raucht oder nicht. Denn das spielt dann auch keine Rolle mehr.
Das erste YouTube-Video, das ich mir ansah, war ein Phoenix-Interview mit Alfred Schier, aufgezeichnet am 01.03.2019 im berühmten Café Einstein in Berlin. Der Inhalt spricht für sich, er bedarf keines weiteren Kommentars:
Schier:
„Wir sind hier im bekannten Café Einstein. Schreiben Sie auch im Café?“
von Schirach:
„Ja, ich schreibe auch im Café. Ich finde die Situation im Café sehr angenehm, weil man Teil der Welt ist, aber man muss nicht daran teilnehmen. Man kann dasitzen und beobachten und hat einen aufgeklappten Laptop – das ist herrlich. Ein Café ist wunderbar zum Schreiben.“
Schier:
„Welche Bedeutung haben Zigaretten für Sie?“
von Schirach:
„Also, einmal ist es so, dass es ganz schwierig für mich ist, ohne Zigaretten zu schreiben. Man gewöhnt sich das irgendwann an und dann wird das zu einem Teil des Schreibens. Zum anderen sind Zigaretten deshalb ganz gut, weil sie die perfekte Droge sind. Weil sie überhaupt keine Befriedigung verschaffen und man einfach immer mehr nehmen muss und auf die Befriedigung wartet, die nicht eintritt. Und das dritte ist – und das ist ein bisschen ernster: Zigaretten sind so ein momentum mori, eine dauernde Erinnerung an den Tod. Und das ist mit dem Schreiben, also mit meinem Schreiben, so ein bisschen übereinstimmend.
Schier:
„Eigentlich ist Rauchen ja aus der Öffentlichkeit verbannt. Sie tun das Gegenteil – Sie heben die Zigaretten auf den Titel Ihres Buches und widmen sogar ein ganzes Kapitel Deutschlands berühmtesten Raucher – und das ist Helmut Schmidt. Und Sie sagen, ich glaube, Helmut Schmidt – das ist der ideale Raucher…“
von Schirach:
„Genau. Der ist deshalb der ideale Raucher… also einmal war es wahnsinnig schön, wie er geraucht hat. Man kann ja über Helmut Schmidt alles mögliche sagen – Gutes und Schlechtes -, aber das mit dem Rauchen war toll, weil er das zu einer Kunstform erhoben hat. Er hat dann in manchen Talkshows – und das kann man immer noch sehen, wenn man die auf YouTube oder so anschaut -, dass er eine Zigarette ganz langsam anzündet und alleine dadurch entstand eine Pause… und dann zog er den Rauch ein und atmete den über seinen Gesprächspartner hinweg. Und das war jedes Mal derselbe Effekt: dass alle kurz still waren und er die Bühne für sich hatte. Ich fand das richtig toll. Und dann hat er ja auch später als Elder Statesman in Theatern und überall geraucht und bekam jedes Mal eine Fülle von Anzeigen, die dann alle eingestellt worden sind. Ich fand das ganz toll.“
[…]
Schier:
„Helmut Schmidt hat ein Einwegfeuerzeug benützt und die Zigaretten direkt aus der Packung geraucht. Sie haben das ja hier schon liegen – edles Feuerzeug, Silberetui. Was hat das für eine Bedeutung für Sie?“
von Schirach:
„Also bei Schmidt war das, glaube ich, so Teil seines sozialdemokratischen Ansehens. Er hätte, glaube ich, unmöglich ein silbernes Etui benutzen können. Das wäre so ein bisschen so wie diese alberne Prinz-Heinrich-Mütze, die ihm auch nicht gestanden hat und gleichzeitig diese fantastisch aussehenden Anzüge. Also das war, glaube ich, einfach so ein Entgegenkommen für seine Wähler. Ich finde diese Accessoires wie so ein Etui … das ist so ein bisschen ein Schutz vor der Hässlichkeit der Welt… es gibt diese hässlichen kleinen Bildchen, die keiner mag – und die werden mich auch nicht vom Rauchen abhalten, weil die nur furchtbar sind… und wir umgeben uns ja, wenn es nicht Zigarettenetuis sind, immer mit solchen Sachen. Wir ziehen uns ordentlich an, um geschützt zu sein oder wir haben bestimmte Riten, die wir einhalten, um die Welt nicht zu nahe kommen zu lassen. Und diese Zigarettenetuis und Feuerzeuge, das ist so eine Idee von mir. Es nützt nur nichts, weil ich sie dauernd verliere.“
[…]
Neben all dem Wichtigen, was in diesem Gespräch noch gesagt worden ist, soll und muss es hier beim Rauchen bleiben.
Warum?
Weil es wichtig ist. Und weil jeder Mensch das Recht hat, sich selbstzerstörerisch zu verhalten. Ich bin mir sicher, dass Ferdinand von Schirach mir darin zustimmt. Ich war jedenfalls fasziniert. Bei weitem nicht nur des Inhalts wegen – mehr noch sogar wegen der Art und Weise, wie Herr von Schirach diese Dinge auszudrücken vermag. Keine Spur von Juristendeutsch. Stattdessen langsame und wohl überlegte Worte. Und während er sie ausspricht und zu Sätzen werden lässt, kann man den Zigarettenrauch förmlich riechen, die Atmosphäre des Kaffeehauses aufsaugen und den Denkprozess des Juristen, der Schriftsteller wurde, gleichsam am eigenen Körper nachfühlen. Seit langer Zeit ist mir kein Mensch mehr begegnet, der eindrucksvoller – und dabei vermutlich völlig unbeabsichtigt – die Schönheit, Langsamkeit und Ästhetik der alten Schule verkörpert. In gewisser, ganz individueller und ihm eigener Art und Weise lebt Ferdinand von Schirach das Credo des eingangs erwähnten Buches von Ayn Rand: Wer ist John Galt?
Ich sah mir noch ein YouTube-Video an. Diesmal ein Gespräch bei „Augsburger Allgemeine Live“ mit Gregor Peter Schmitz und Stefanie Wirsching. Wieder geht es um das Rauchen:
Schmitz:
„Warum lassen Sie sich das eigentlich nicht in jeden Ihrer Auftritte reinschreiben, dass Sie rauchen dürfen – egal wo?“
von Schirach:
„Tu ich ja. Aber Sie haben sich geweigert.“
[…]
Schmitz:
„Helmut Schmidt braucht ja einen Erben. Sie haben doch immer das Erbe angestrebt von Helmut Schmidt.“
von Schirach:
„Ja, das ist ganz toll. Der rauchte ja wirklich überall. Und er rauchte ja… – im Gegensatz zu mir, ich rauche ja nur auf der Bühne. Und auf der Bühne darf man rauchen, aus dramaturgischen Gründen. Ist ganz toll. Ich rauche überhaupt nur noch aus dramaturgischen Gründen. Und Helmut Schmidt rauchte aber nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Zuschauerraum. Und das führte regelmäßig zu Strafanzeigen, weil ärgerliche Leute ihn dann angezeigt haben. Es gab aber einen ganz netten Staatsanwalt in Hamburg, der das immer wegen Geringfügigkeit eingestellt hat. Und das mochte ich sehr gerne. Aber das mit dem Rauchen ist tatsächlich kompliziert, ich erzähle Ihnen eine Geschichte dazu. Es gab in Stuttgart eine Literatursendung mit Thea Dorn, eine Journalistin. Und zu dieser Literatursendung war Michel Houllebecq eingeladen. Und Houllebecq raucht noch mehr als ich – es ist schwer, aber er tut es wirklich. Und jetzt sind die Stuttgarter noch ordentlicher als die Augsburger und man hatte große Angst, was passiert. Und als erstes wurde in dem Theater die Mittelreihe ausgebaut, der Fluchtwege wegen. Und dann standen – ich erzähle Ihnen keinen Witz – sechs Feuerwehrleute um die Bühne herum, bewaffnet mit großen Eimern voller Sand. Für die eine Zigarette. Und Houllebecq kam auf die Bühne und saß dann so wie wir beide jetzt – und kam seltsamerweise mit seinem Hund. Der Hund war nicht angekündigt, ja. Und der Hund setzte sich dann vor Michel Houllebecq. Und er sprach fünfundvierzig Minuten ausschließlich mit dem Hund. Auf französisch – ja. Und nach fünfundvierzig Minuten stand er auf und ging und hatte keine Zigarette geraucht.
Schmitz:
„Aber das mit dem Rauchen beschäftigt Sie ja schon ziemlich. Ich habe mal in einem anderen Interview mit Ihnen gelesen, dass Sie sich mal den Spaß gemacht haben, auf dem Flughafen die Verbotsschilder zu zählen. Sie kamen, glaube ich, auf fünfundvierzig. Reizt es Sie dann – als kleinen Rebellen – erst recht eine anzuzünden?“
von Schirach:
„Also im Flugzeug trau’ ich’s mich nicht, weil dann wird man verhaftet und in Ketten rausgeführt und kriegt Verbot für diese Fluglinie für alle Zeiten. Ich kannte einen, der noch abhängiger vom Rauchen war als ich und dann bei einem Flug nach Amerika auf die Toilette ging und sich in diese Toilette beugte und in der Toilette eine Zigarette anzündete. Und diese Rauchmelder sind aber so scharf, dass das erfasst worden ist. Und der verbrachte wirklich in Handschellen den Flug und wurde dann also aus dieser Maschine geführt, bekam ein Strafverfahren und durfte nie wieder mit dieser Linie fliegen. Aber tatsächlich geht es um etwas anderes: Unser Leben besteht ja mittlerweile aus einem ganz, ganz großen Teil aus Geboten und Verboten. Wir dürfen alles Mögliche nicht mehr machen. Also Rauchen ist ja nur ein kleiner Teil davon. Sie haben das Flugzeug erwähnt. Sie sitzen dort, einbeklemmt in so einem winzigen Sitz, das ist ganz furchtbar – und dann kommt die Stewardess und sagt, Sie müssen das Tischchen hochklappen. Also ein [gestikuliert und deutet mit den Händen ein Rechteck an] so großes Tischchen muss hochgeklappt werden. Und jetzt stellen Sie sich mal vor, die Maschine stürzt ab – glauben Sie, das Tischchen spielt irgendeine Rolle dabei? ‘Ah, ich hab’ überlebt, weil ich das Tischchen hochgeklappt habe!’ Das ist extrem unwahrscheinlich. Aber daraus besteht mittlerweile unser Leben. Dass wir dauernd komplett irre Vorschriften bekommen. Und der Titel des Buches ist auch deshalb ein bisschen gewählt, weil … ich mag das nicht. Ich mag nicht, dass man dauernd Vorschriften macht.“
Schmitz:
„Und außerhalb des Flugzeugs wären Sie dann ein kleiner Rebell?“
von Schirach:
„Ja, also ich eigne mich nicht zum Revolutionär. Aber ich finde es wirklich unangenehm, dass man sich dauernd demütigen lassen muss in jeder Beziehung. Und das Zweite ist: Neben diesen Verboten gibt es ja noch etwas, was ich extrem unangenehm finde und das ist diese unfassbare Übertreibung. Also alles wird so übertrieben geschildert, es gibt nur noch Superlative. Neulich habe ich nach einer Lesung im Hotelzimmer den Fernseher angemacht und da kam eine Werbung für einen Klostein. Also dieses Zeug, was Sie ins Klo hängen. Und der hatte dann irgendwie so einen französischen Namen – aber es war halt ein Klostein. Und dann kam…, dass mit diesem Klostein… – also wenn ich diesen Klostein kaufe und ins Klo hänge… – verändert sich mein Leben! Und da hab ich wirklich gedacht, das kann nicht wahr sein. […]“
[…]
Der Tag, an dem ich mir diese Videos ansah, fiel auf ein Wochenende. Es muss also folgerichtig ein Samstag oder ein Sonntag gewesen sein. Während ich mir die Videos ansah, habe ich vermutlich eine Zigarette geraucht.
Jedenfalls ging ich am darauffolgenden Werktag zurück zu meiner Buchhandlung.
Ich kaufte mir Kaffee und Zigaretten.
Und das Buch.
Ich trank den Kaffee und rauchte die Zigaretten und las das Buch an einem Vormittag. Es ist großartig. Ich werde auch seine anderen Bücher lesen.
Ferdinand von Schirach widmet Kapitel sechzehn Helmut Schmidt und den Zigaretten. Er schreibt:
„Oft wird gesagt, die beste Zigarette sei die nach dem Sex. Das stimmt natürlich nicht, diese Zigarette ist genauso wichtig wie alle anderen.“
Damit hat er recht. Aber in einer Sache hat er unrecht: Vielleicht mag es sein, dass Helmut Schmidt der letzte Raucher war. Der ideale Raucher jedenfalls ist Ferdinand von Schirach. Und solange es Menschen wie ihn gibt, ist die Welt noch nicht verloren. Und darauf rauch’ ich eine.
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