Die ausgerechnet von der FDP um Bundesjustizminster Buschmann, den selbsternannten “Hütern der Marktwirtschaft” verantwortete 11. GWB-Novelle (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, oder einfach Kartellrecht) in Form des – euphemistisch – so genannten “Wettbewerbsdurchsetzungsgesetzes” (oder in seiner ganzen Schöne: “Gesetz zur Verbesserung der Wettbewerbsstrukturen und zur Abschöpfung von Vorteilen aus Wettbewerbsverstößen”) ist ein Frontalangriff auf die freie Marktwirtschaft, ermächtigt zu Behördenwillkür und dürfte gegen die Verfassung verstoßen. Ausgerechnet das Bundeskartellamt und dessen unrühmliche Geschichte des Scheiterns, die in ihren Ausmaßen der der BaFin in nichts nachsteht, wird zu Eingriffsbefugnissen ermächtigt, die es in einem freien Wirtschaftssystem nicht geben sollte. Die FDP hat – was Wunder – vom Ordoliberalismus nichts gelernt. Ein Kommentar.
GWB-Novelle: Allgemeines
Die 11. GWB-Novelle zielt hauptsächlich darauf ab, Maßnahmen zur “Beseitigung oder Verringerung” von “erheblichen, fortgesetzten oder wiederholten Wettbewerbsstörungen” zu ermöglichen. Diese Maßnahmen und die damit verbundenen Befugnisse zielen primär auf Verhaltensänderungen und strukturelle Anpassungen ab, einschließlich der “Entflechtung von Unternehmen” – mit anderen Worten also: Enteignungen. Um die s.g. “Abschöpfung” vermuteter Vorteile aufgrund von Verstößen gegen das Kartellrecht problemloser und nahtloser durchführen und vollziehen zu können, wird die Beweislast hinsichtlich des unrechtmäßig erzielten Gewinns auf die betroffenen Unternehmen verlagert. Stichwort: Beweislastumkehr. Darüber hinaus wird die Schwelle für die Überprüfung von Fusionen, bzw. M&A-Aktivitäten deutlich gesenkt werden, um auch Zusammenschlüsse zu erfassen, die nach bisherigen kartellrechtlichen Maßstäben keine signifikante wirtschaftliche Bedeutung haben. Des Weiteren sollen Sektoruntersuchungen beschleunigt werden und die Umsetzung der Vorgaben der Europäischen Union im Rahmen des “Digital Markets Act (DMA)” – also hauptsächlich die Kontrolle und Gägenlung so genannter “Torwächter” (“Gatekeepter”) sichergestellt werden.
Die wesentlichen Neuregelung der 11. GWB-Novelle
Sektoruntersuchung und “New Competition Tool”
Die GWB-Novelle weitet die Möglichkeiten und sich daran anschließenden Eingriffsbefugnisse der s.g. Sektoruntersuchung erheblich aus. Bisher sah das Kartellrecht – zu recht – vor, dass die Behörde aufgrund der Erkenntnisse aus einer solchen – zugegebenermaßen langwierigen – Untersuchung jeweils ein “herkömmliches” Einzelverfahren einzuleiten hatte.
Nunmehr “soll” eine solche Sektoruntersuchung in ca. 18 Monaten abgeschlossen sein.
Hinzu kommen erheblich ausgeweitete Befugnisse des Bundeskartellamtes in § 32f GWB-E, die nichts weniger als einen vollständigen Paradigmenwechsel im deutschen öffentlichen Wettbewerbsrecht bedeuten.
Danach erhält das Bundeskartellamt zukünftig die Befugnis, Maßnahmen zur “Behebung von Wettbewerbsstörungen” schon dann zu ergreifen, wenn eine “erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs” festgestellt wurde – und zwar völlig unabhängig von einem tatsächlichen Verstoß gegen kartellrechtliche Regeln. Voraussetzung ist, dass im Rahmen einer Prognoseentscheidung die Anwendung der üblichen kartellrechtlichen Befugnisse “voraussichtlich nicht ausreicht”, um der festgestellten Wettbewerbsstörung ausreichend entgegenzuwirken.
Diese Maßnahmen können umfassende verhaltensorientierte oder faktisch-strukturelle Verpflichtungen für Unternehmen beinhalten, die zur “Beseitigung oder Verringerung der Wettbewerbsstörung” erforderlich sind. Dies sind u.a. die Gewährung des Zugangs zu Daten, Schnittstellen, Netzen oder anderen Einrichtungen, die Festlegung von Vorgaben für Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen auf den untersuchten Märkten und auf verschiedenen Stufen der Wertschöpfungskette, die Etablierung transparenter, diskriminierungsfreier und offener Normen und Standards durch Unternehmen, die Festlegung von bestimmten Vertragsformen oder -gestaltungen oder die organisatorische Trennung von Unternehmens- oder Geschäftsbereichen. Als “letztes Mittel” kann das Bundeskartellamt sogar die “Entflechtung” von Unternehmen anordnen, die entweder eine marktbeherrschende Stellung innehaben oder für die gemäß § 19a GWB bereits eine überragende marktübergreifende Bedeutung festgestellt wurde.
Dem Bundeskartellamt somit ein weitreichendes Eingriffsinstrumentarium zur Verfügung stehen, um Märkte auch ohne konkrete kartellrechtswidrige Verhaltensweisen zu regulieren. Diese Maßnahme hat Deutschland wieder einmal aus den Überlegungen auf EU-Ebene zur Einführung eines “New Competition Tool” übernommen, die auf EU-Ebene zugunsten des s.g. “Digital Markets Act (DMA)” aufgegeben wurde.
DMA-Durchsetzungsbefugnisse
Die 11. GWB-Novelle dient auch zur effektiven Durchsetzung des s.g. “Digital Markets Act” (DMA) – einem Anfang 2024 final anwendbaren Gesetzeskonglomerat zur Regulierung von s.g. “Gatekeepern” (Torwächtern) – also Konzernen, die als relevant empfundene digitale Infrastruktur bereitstellen (vermutlich Google, Amazon, Apple, eBay und Co.).
Hier werden zum einen die privatrechtlichen Klagebefugnisse erweitert. Zum anderen erhält das Bundeskartellamt die Kompetenz, etwaige Verstöße der Torwächter gegen die DMA-Bestimmungen in seinem Sprengel eigenständig zu untersuchen und auf diese Weise die – eigentlich zuständige – EU-Kommission zu “unterstützen”.
Verschärfte Vorteilsabschöpfung
Der Gesetzentwurf wird auch das Instrument der Vorteilsausgleichung gemäß § 34 GWB-E zu stärken. Hierfür sind mehrere Änderungen von § 34 GWB vorgesehen. Bisher spielte diese Bestimmung aufgrund der hohen rechtlichen Hürden im Verhältnis zum wirtschaftlichen Schaden der Verstöße praktisch keine Rolle.
Eine deutliche Änderung besteht nunmehr darin, dass eine Vermutungsregel eingeführt wird, wonach ein Vorteil in Höhe von mindestens 1% der von den Verstößen betroffenen Umsätze im Inland erzielt wurde. Diese Vermutung soll zwar widerlegbar sein, jedoch nur durch den Nachweis, dass kein internationaler Konzerngewinn in dieser Höhe erzielt wurde. Darüber hinaus kann die Kartellbehörde die Höhe des Vorteils – wie bisher – schätzen, wobei aber nun bereits eine “überwiegende Wahrscheinlichkeit” hierfür ausreicht.
Der bisherige Zeitrahmen von fünf Jahren bleibt im Ergebnis beibehalten. Das bedeutet, dass ein Vorteil noch nach sieben Jahren seit der Beendigung des kartellrechtswidrigen Verhaltens für einen “Abschöpfungszeitraum” von maximal fünf Jahren “eingezogen” werden kann.
Immerhin hier geht die GWB-Novelle nicht so weit wie der ursprüngliche Referentenentwurf.
Einschätzung: Wirtschaftlich unsinnig und verfassungswidrig
Der Markt funktioniert ohne Kartellrecht besser
Noch niemals in der Geschichte der Wirtschaftspolitik haben s.g. “wettbewerbspolitische” Eingriffe in Form von Kartell- oder monopolrechtlichen Hoheitsbefugnissen eines Staates irgendetwas Positives im langfristigen Sinne der gesamten Volkswirtschaft bewirken können. Vielmehr sind derlei Grundansinnen zutiefst planwirtschaftlicher – und letztlich sozialistischer Natur. Als hätte die Geschichte der Welt und mit ihr die Entwicklung von Wohlstand und letztlich allem, was uns lieb und teuer ist, nicht für sich selbst genommen eindrucksvoll bestätigt, was Friedrich August von Hayek bereits im Jahre 1961 so zutreffend ausgeführt hat:
“Daß der Zweck der Freiheit ist, die Möglichkeit von Entwicklungen zu schaffen, die wir nicht voraussagen können, bedeutet, daß wir nie wissen werden, was wir durch eine Beschränkung der Freiheit verlieren. […] Wenn die Entscheidung zwischen Freiheit und Zwang als eine Zweckmäßigkeitsfrage behandelt wird, die in jedem Einzelfall besonders zu entscheiden ist, wird die Freiheit fast immer den Kürzeren ziehen. […] Sobald also die Freiheit als Zweckmäßigkeitsfrage behandelt wird, ist ihre fortschreitende Untergrabung und schließlich Zerstörung unvermeidlich. […]
Die Freiheit kann nur erhalten werden […], wenn sie nicht bloß aus Gründen der erkennbaren Nützlichkeit im Einzelfalle, sondern als Grundprinzip verteidigt wird, das der Erreichung bestimmter Zwecke halber nicht durchbrochen werden darf. […].”
“Natürliche Monopole” oder sich am freien Markt über einen längeren relevanten Zeitraum haltende Kartelle hat es in dieser Form de facto nie gegeben. Diese Scheinprobleme haben vielmehr immer die freie Marktwirtschaft und der ihr inhärente Wettbewerb selbst gelöst. Rockefellers Standard Oil hat seine Marktmacht durch die Entdeckung und anschließende Nutzbarmachung der Elektrizität für Straßenbeleuchtung verloren. Die vermeintlichen Kartelle der Eisenbahngesellschaften sind mit der Erfindung des Individualverkehrs, insbesondere des Automobils durch Ford und Benz obsolet geworden. Dies sind nur zwei – stark verkürzte – Beispiele dafür, dass der Markt auch hier funktioniert. Und zwar besser ohne staatliche Eingriffe.
Die FDP scheitert an sich selbst
Dass ausgerechnet die FDP, die vor vielen Jahrzehnten einmal eine stringente Partei des Ordoliberalismus deutscher und österreichischer Prägung gewesen war, nunmehr derartige Gesetzesvorhaben umsetzt, ist traurig, verwundert den aufmerksamen politischen Beobachter jedoch nicht. Die Stellschrauben der Macht in Form von Wirtschafts- und Gesellschaftskontrolle paternalistischer Prägung verbunden mit nicht unerheblichen Salären für die letztlich austauschbaren Amtswalter jeder Couleur sind letztlich doch zu verlockend, als eigene politische und wirtschaftsethische Prinzipien und Grundsätze höher anzusiedeln. Mit dem neuen GWB steht nunmehr nicht mehr die Absicherung des freien Wettbewerbs im Vordergrund; vielmehr wird ein behördlicher Instrumentenkasten geschaffen, um politisch proaktiv in Marktprozesse einzugreifen. Die Freiheit sirbt eben doch scheibchenweise. Kaschiert wird das Ganze übrigens mit dem euphemistischen Begriff: “Wettbewerbsbehörde mit Biss”.
GWB-Novelle ist verfassungswidrig
Wirklich bedenklich ist allerdings nach der hier vertretenen Auffassung, dass ein offensichtlich verfassungswidriger Gesetzesentwurf vorgelegt wird.
Wesentlichkeitsgrundsatz und Vorbehalt des Gesetzes
Das Rechtsstaatsprinzip i.S.d. Art. 20 Abs. 3 GG in Form des Wesentlichkeitsgrundsatzes verlangt vom Gesetzgeber, dass dieser die “wesentlichen Grundentscheidungen” einer mit einem Grundrechtsgriff verbundenen Ermächtigungsgrundlage selbst trifft – und eben nicht unter Verwendung von generalklauselartig gefassten Gesetzesbestimmungen faktisch an die Verwaltung – hier das Bundeskartellamt – delegiert. Dies gilt umso mehr, je weniger die Rechtsmaterie durch konkretisierende Rechtsprechung und Fallgruppen – also “Case Law” – ausgefüllt ist. Dies ist im Falle der GWB-Novelle zweifellos der Fall. Vorbehalt und Vorrang des Gesetzes werden nicht hinreichend berücksichtigt.
Rechtssicherheitsprinzip und Bestimmtheitsgrundsatz
Das neue Kartellrecht ist auch nicht hinreichend bestimmt. Es führt vielmehr eine ganze Reihe neuer, bisher in der Form im GWB nicht enthaltenen Begriffe ein, deren Umfang und Anwendungsbereich nicht hinreichend klar wird. Der im Rechtssicherheitsprinzip verankterte Grundsatz der Bestimmtheit verlangt indes, dass eine gesetzliche Norm – gerade eine der Eingriffsverwaltung – so hinreichend klar und verständlich sein muss, dass der Rechtsunterworfene grundsätzlich vorhersehen kann, ggf. welche Sanktion oder Rechtsfolge an ein bestimmtes Verhalten geknüpft wird. Kurz: Die obrigkeitliche Reaktion auf ein bestimmtes Handeln muss vorher absehbar und eruierbar sein, sodass der Bürger sein Verhalten daran ausrichten kann. Auch diesen Prinzipien genügt die GWB-Novelle wohl nicht.
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
Auch dürften die Neuerungen jedenfalls in Teilen unverhältnismäßig sein. So wird bereits nicht klar, welche vom Gesetzgeber als legitim angesehen Ziele mit den neuen Eingriffsbefugnissen eigentlich erreicht, bzw. welche – tatsächlichen oder vermeintlichen – Problemstellungen oder zu adressierenden Unzulänglichkeiten in rechtstatsächlicher Hinsicht gelöst werden sollen. Dies wird auch aus den Gesetzgebungsmaterialien nicht hinlänglich klar. Darüber hinaus dürften auch erhebliche Zweifel an der Erforderlichkeit und Angemessenheit der Regelungen bestehen.
Eigentumsgarantie
Gem. Art. 14 Abs. 1 GG wird das Eigentum gewährleistet. Lediglich Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. Enteignungen sind zwar in Ausnahmefällen zum Zwecke des Gemeinwohls zulässig. Jedoch erfordert dies, dass dasselbe enteignende Gesetz gleichzeitig eine angemessene Entschädigung vorsieht und regelt (s.g. “Junktim-Klausel”).
Eine solche Entschädigungsklausel enthält die GWB-Novelle für die dort neu vorgesehenen “Entflechtungen” nicht. Wird also ein Unternehmen wegen tatsächlicher oder vermeintlicher kartellrechtlicher Bedenken “entflochten” – oder besser: zerschlagen, also enteignet -, gibt es jedenfalls für den damit einhergehenden Verlust an Goodwill und Firmenwert keine Entschädigung.
Nun hatte der Bundesgerichtshof im Hinblick auf die Übereignungspflicht von Leitungs- und Netzanlagen im Energiewirtschaftsgesetz entschieden, hierbei handele es sich lediglich um Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums und gerade nicht um ein Enteignungsgesetz (vgl. BGH, Beschl. v. 03.06.2014 – EnVR 10/13).
Dies dürfte jedoch im Ergebnis auf die hier interessierenden Ermächtigungsbestimmungen nicht ohne Weiteres übertragbar sein, sodass eine Eigentumsverletzung jedenfalls nicht ausgeschlossen scheint.
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wird sich also einmal mehr mit einem Gesetzesvorhaben der s.g. Ampel-Koalition auseinandersetzen müssen.
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