Gesichert übergriffig – Wie das Bundesamt für Verfassungsschutz die Demokratie gefährdet

“75 Jahre im Auftrag der Demokratie” – so steht es auf der Webseite des Bundesamts für Verfassungsschutz, dem deutschen Inlandsgeheimdienst. Doch anstatt seinem Auftrag gerecht zu werden, Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu ermitteln und aufzudecken sowie Bestand und Sicherheit des Bundes und der Länder zu gewährleisten (§ 1 Abs. 1 BVerfSchG) – etwas, das nur noch durch wohlwollende Zuarbeit von befreundeten Diensten aus den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Israel gelingt -, drängt sich der Eindruck auf, dass der Verfassungsschutz immer mehr zu einem politischen Instrument der Oppositionsüberwachung wird. Die Einstufung der deutschen Oppositionspartei “Alternative für Deutschland” (AfD) als “gesichert rechtsextremistisch” und die damit einhergehende Ausweitung nachrichtendienstlicher Befugnisse stellt einen weiteren Tiefpunkt der juristischen und politischen Kultur dar, der der Bundesrepublik Deutschland – zu recht – internationale Kritik einbringt.

Verfassungsschutz: AfD “gesichert rechtsextrem”

Am 02.05.2025 hat das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) offiziell als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ eingestuft. Diese Entscheidung markiert einen weiteren bedeutenden – und bemerkenswerten – Schritt in der Beobachtung der Partei durch den deutschen Inlandsgeheimdienst.​

Bereits im März 2022 hatte das Verwaltungsgericht Köln die Einstufung der AfD als Verdachtsfall bestätigt (VG Köln, Az. 13 K 326/21). Im Mai 2024 folgte das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen dieser Einschätzung (OVG NRW, Az. 5 A 1218/22). Beide Urteile sind zum Zeitpunkt dieses Artikels noch nicht rechtskräftig. Der Verfassungsschutz betont, dass die zahlreichen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der AfD sich im Laufe der Zeit verdichtet und bestätigt hätten.

Der Verfassungsschutz stützt seine jetzige Bewertung auf eine “umfassende gutachterliche Prüfung”, bei der insbesondere folgende Aspekte berücksichtigt worden sein sollen (so die entsprechende Pressemitteilung der Behörde):

  • Ethnisch-abstammungsmäßiges Volksverständnis: Die AfD propagiere ein Volksverständnis, das nicht mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinbar sei. Dieses Verständnis ziele darauf ab, bestimmte Bevölkerungsgruppen, insbesondere Menschen mit Migrationsgeschichte aus muslimisch geprägten Ländern, von gleichberechtigter gesellschaftlicher Teilhabe auszuschließen.​
  • Agitation gegen bestimmte Gruppen: Führende Funktionäre der AfD äußerten sich fortlaufend fremden-, minderheiten- sowie islam- und muslimfeindlich. Begriffe wie „Messermigranten“ oder die generelle Zuschreibung einer ethnokulturell bedingten Neigung zu Gewalt dienten der Diffamierung und Verächtlichmachung bestimmter Personengruppen.​
  • Verbindungen zu rechtsextremistischen Akteuren: Die AfD unterhalte Verbindungen zu rechtsextremistischen Gruppierungen und Akteuren.

Veröffentlicht hat der Verfassungsschutz sein angeblich 1.100-seitiges Gutachten freilich nicht – nur bestimmten journalistischen Kreisen scheinen jedenfalls Auszüge hieraus vorzuliegen, wie ein Bericht des Nachrichtenmagazins “WELT” nahelegt.

Bedeutung der Einstufung

Konsequenz der Neueinstufung der AfD als “gesichert extremistische Bestrebung” sind weitere und umfassendere nachrichtendienstliche Befugnisse des Verfassungsschutzes. Hierzu gehören u.a.

  • Observationen.
  • V-Leute (Vertrauenspersonen).
  • Telekommunikationsüberwachung.
  • Abhören von Gesprächen.
  • Einsatz technischer Mittel zur Informationsgewinnung.
  • Der Verfassungsschutz kann gezielter interne Strukturen, Kommunikationswege und Vernetzungen der Partei und ihrer Untergliederungen beobachten.
  • Auch Mitglieder und Funktionäre können nun stärker individuell überwacht werden.

Ein beispielloser Schritt

Die Einstufung des Bundesamts für Verfassungsschutz ist ein beispielloser – und bisher in dieser Form in der deutschen politischen und juristischen Kultur nicht gekannter Schritt. Mit der Einstufung als “gesichert rechtsextremistisch” erhält das BfV – wie ausgeführt – weitreichende Befugnisse zur Beobachtung der AfD, darunter die Nutzung von V-Leuten, Telefonüberwachung und verdeckten Ermittlungen, obwohl die tragenden und verfangenden Gründe für die Maßnahme des Inlandsgeheimdienstes weitgehend unklar bleiben. Dass das Gutachten, das der Entscheidung angeblich zugrunde liegt, “geheim” (oder jedenfalls “semi-geheim”) bleibt und eine Begründung für die vermeintliche Geheimhaltungsbedürftigkeit weder erkannbar ist noch mitgeilt wurde, trägt zur Intransparenz und Rechtsunsicherheit der Maßnahme bei und verstärkt den Eindruck, dass hier ein Geheimdienst (noch dazu in der Endphase einer abgewählten Regierung) möglicherweise zur Überwachung der Opposition eingesetzt wird. Zur Erinnerung: Die AfD ist derzeit zweitstärkste politische Kraft in Deutschland.

“Faktisches Oppositionsverbot”

In der politischen und juristischen Öffentlichkeit ist die Einstufung der AfD aus den vorgenannten Gründen – zu recht – heftig kritisiert worden.

Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel gehört hier zu den lautstarken Kritikern. In Interviews und auf Social Media bezeichnete er die Entscheidung als ein “faktisches Oppositionsverbot”. Die Beobachtung einer Oppositionspartei mit geheimdienstlichen Mitteln sei seinerseits Angriff auf das demokratische System selbst – selbiges, das der Verfassungsschutz eigentlich schützen soll. Steinhöfel warnt sogar vor einer drohenden Staatskrise, sollte sich der Eindruck verfestigen, dass ein Viertel der Wähler systematisch delegitimiert werde.

“Skandalöser Eingriff in den politischen Wettbewerb”

Auch der Staatsrechtler Prof. Dr. Dr. Volker Boehme-Neßler äußerte massive verfassungsrechtliche Bedenken am Vorgehen von Innenministerium und Verfassungsschutz. Er bezeichnete die Entscheidung als skandalös, da sie auf einem geheim gehaltenen Gutachten beruhe, dessen Schlüsse nicht nachvollziehbar seien. “Das kennt man aus Diktaturen, nicht aus rechtsstaatlichen Demokratien”, sagte er. Boehme-Neßler kritisierte zudem, dass der Verfassungsschutz hier eine politische Funktion übernehme, die nicht mit seinem gesetzlichen Auftrag vereinbar sei.

Internationale Kritik: USA warnen vor “Tyrannei im Verborgenen”

Auch international wurde die Entscheidung kritisch begleitet. US-Außenminister Marco Rubio bezeichnete die Maßnahme als “Tyrannei im Verborgenen”. Vizepräsident JD Vance zog einen drastischen Vergleich: “Der Westen hat gemeinsam die Berliner Mauer niedergerissen. Jetzt wird sie neu errichtet – nicht durch die Russen, sondern durch das deutsche Establishment.” Diese Aussagen zeigen, dass die deutsche Innenpolitik zunehmend unter immer kritischerer internationaler Beobachtung steht.

Dabei ist ein oft übersehener Aspekt die strukturelle Abhängigkeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz (und der anderen deutschen Geheimdienste) von der Kooperationsbereitschaft befreundeter Dienste wie dem FBI, der NSA, dem MI5 oder dem Mossad, bzw. Shin Bet. Viele sicherheitsrelevante Informationen gelangen nur über internationale Netzwerke nach Deutschland. Umso problematischer wäre es, wenn diese Partner das Vertrauen in Deutschland verlieren und sicherheitsrelevante Informationsflüsse wegen einer innenpolitischen Instrumentalisierung des deutschen Inlandsgeheimdienstes einschränken oder gar einstellen würden.

Verfassungsschutz ist kein “Regierungsschutz”

Der Verfassungsschutz wurde als Institution geschaffen, um die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik vor tatsächlichen existenziellen Gefahren von Innen zu schützen – nicht jedoch, um unliebsame politische Gegner im Auftrag der Regierung oder eines falsch verstandenen Demokratiebegriffs zu beobachten. Die weltanschauliche Neutralität und streng auf verfassungsjuristische Grundsätze ausgerichtete Tätigkeit sind konstitutiv für die Legitimität des Verfassungsschutzes. Seine Aufgabe ist es, das prinzipielle Rechtsregime des Grundgesetzes und dessen Geltung per se zu beschützen – nicht jedoch, sich in tagespolitischem Klein-Klein zu betätigen und sich auf – aus Regierungssicht – unliebsame Meinungen zu versteifen. Wird diese Grenze überschritten, verwandelt sich der Verfassungsschutz faktisch in einen “Regierungsschutz” – ein Zustand, den man sonst aus autoritären Systemen wie der ehemaligen DDR kennt.

Die Beobachtung einer in Parlamenten vertretenen Oppositionspartei durch einen Inlandsgeheimdienst mit nachrichtendienstlichen Mitteln erinnert einiges deshalb zurecht an die Praktiken totalitärer Systeme. Die DDR-Staatssicherheit war berüchtigt für die Ausspähung und Zersetzung politischer Gegner. Auch wenn die Bundesrepublik ein demokratischer Rechtsstaat ist, werfen solche Maßnahmen einen Schatten auf das Verhältnis zwischen Staat und Opposition und triggern Kritik – nicht nur bei damaligen Opfern.

Eine freiheitliche Demokratie muss in der Lage sein, ihre Gegner in der politischen Arena zu stellen, ohne auf staatliche Repressionsmaßnahmen zurückgreifen zu müssen. Dies muss “ultima ratio” bleiben für Fälle, die aus sich heraus evident sind.

Verfassungsschutz statt politischer Geheimdienst

Die Einstufung der AfD als “gesichert rechtsextremistisch” ist auch ein gravierender Eingriff in den demokratischen Diskurs als solchen.

Zwar wird sie von einigen als legitimer “Schutz der Verfassung” verstanden. Jedoch setzte dies einen “materiellen Demokratiebegriff” voraus, den festzulegen und zu definieren eine Bundesoberbehörde keine Kompetenz hat – schon gar nicht unter Zugrundelegung geheimgehaltener Informationen und Erkenntnisse.

In einer Zeit wachsender politischer Polarisierung ist es vielmehr entscheidend, dass staatliche Institutionen ihre Macht mit höchster Zurückhaltung und auf Grundlage klarer rechtlicher Standards ausüben. Alles andere gefährdet das Vertrauen in den Rechtsstaat selbst.

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